Ermittlungen, Medienrecherchen und interne Akten legen nahe, dass das Auswärtige Amt unter Annalena Baerbock zwischen 2022 und 2024 tausende Visa für Afghaninnen und Afghanen erteilte, obwohl die Bundespolizei mehrfach vor gefälschten Pässen und unzureichenden Sicherheitsprüfungen warnte; ob es sich dabei um Organisationsversagen oder um bewusste politische Prioritätensetzung handelte, soll nun die Justiz klären.
Kern des Konflikts ist das “Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan”, mit dem Deutschland nach dem Fall Kabuls Ortskräfte, besonders gefährdete Personen sowie deren Familien aufnehmen wollte. Laut internen Lageberichten meldeten Konsularbeamte in Islamabad schon Anfang 2023 auffällig viele “Proxy-Pässe” – Dokumente, die weder biometrisch noch von der islamischen Übergangsregierung ausgestellt waren. Die Bundespolizei forderte deshalb, jedes Visum nur nach Identitätsfeststellung zu erteilen. Trotzdem wurden – wie Business Insider, Cicero und später auch Focus berichteten – Dutzende bis Hunderte Dokumente akzeptiert, obwohl sie formell ungültig waren.
Unter Aktenzeichen 235 Js 3173/23 leitete die Staatsanwaltschaft Berlin daraufhin ein Verfahren wegen mutmaßlicher Rechtsbeugung gegen Konsularmitarbeiter ein; parallel stellte Cottbus Ermittlungen gegen einen Abteilungsleiter im Auswärtigen Amt an. Ein Teil dieser Verfahren wurde Ende 2024 mangels Tatverdachts eingestellt, doch der Verdacht systemischer Verstöße bleibt Gegenstand weiterer Prüfvorgänge. CDU- und AfD-Fraktionen forderten in Untersuchungsausschüssen Aufklärung darüber, wer politische Verantwortung trägt und ob Weisungen aus der Berliner Zentrale die Bedenken vor Ort überstimmten.
Aus dem Ministerium heißt es, wegen “humanitärer Dringlichkeit” habe man die Prüfung pragmatisch verkürzt; gefährdete Menschen hätten sonst das Land nie verlassen können. Ex-Außenministerin Baerbock verwies öffentlich darauf, man habe nachträglich alle Eingereisten einem Sicherheitsabgleich unterzogen. Konkrete Zahlen nennt das Auswärtige Amt jedoch nicht. Medienrecherchen sprechen von rund 50 000 Visen seit 2022, davon seien lediglich etwa 4 800 Identitäten abschließend verifiziert worden; das Ministerium bestätigt nur, dass “die Mehrheit” überprüft werde.
Oppositionspolitiker halten das für zu vage. Sie verweisen auf den Fall der Konsularreferatsleiterin in Islamabad, die versetzt wurde, nachdem sie weitere Bedenken geäußert hatte; das Auswärtige Amt bestreitet ein Disziplinarverfahren, nennt aber “organisatorische Gründe”.
Sicherheitsbehörden befürchten, dass sich unter den Eingereisten auch Akteure mit islamistischer oder nachrichtendienstlicher Agenda befinden könnten, betonen jedoch zugleich, dass bislang kein Terrorfall direkt auf die Visa-Entscheidungen zurückgeführt wurde.
Politisch brisant ist weniger die absolute Zahl der Fehlentscheidungen als die Frage, ob Warnungen systematisch abgewiegelt wurden. Sollte sich bestätigen, dass Weisungen der Ministeriumsspitze gegen besseres Wissen ergingen, stünde nicht nur der deutsche Konsularschutz, sondern auch das Verantwortungsprinzip im Ministerrang zur Debatte. Verfügbare Dokumente deuten darauf hin, dass pragmatische Erleichterungen bewusst höher gewichtet wurden als formale Sicherheitseinwände – eine Abwägung, die in humanitären Ausnahmefällen zulässig sein kann, die aber ein beträchtliches Risikopolster schafft.
Offen bleibt, wie viele Fälle tatsächlich strafrechtlich relevant sind. Die Generalstaatsanwaltschaft prüft derzeit, ob neben mutmaßlicher Rechtsbeugung auch Urkundsdelikte oder Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt vorliegen. Parallel will der Bundestag klären, ob das Bundesaufnahmeprogramm reformiert oder ausgesetzt werden muss. Sollte sich eine strategische Fehlsteuerung bestätigen, könnte der Fall rechtlich als Organisationsversagen gewertet werden – eine Kategorie, die zwar selten zu Ministeranklagen führt, politisch jedoch Karriereentscheidungen prägt.
Unabhängig vom Ausgang der Ermittlungen zeigt der Fall exemplarisch, wie schwer es ist, humanitäre Verpflichtungen und Sicherheitsinteressen in Krisensituationen auszubalancieren. Das Auswärtige Amt steht nun vor der Aufgabe, transparent nachzuweisen, dass Visaentscheidungen auf belastbaren Daten basieren – und dass diplomatischer Pragmatismus nicht zum Einfallstor systematischer Schlamperei wird. Für die politisch interessierte Öffentlichkeit bietet der Skandal damit mehr als ein Personaldrama: Er wirft Grundsatzfragen zum Umgang Deutschlands mit Schutzsuchenden, zur parlamentarischen Kontrolle außenpolitischer Exekutiventscheidungen und zum Spannungsfeld zwischen moralischem Imperativ und staatlicher Sicherheitsvorsorge auf.