In den letzten Jahren hat sich der Volksverhetzungsparagraph (StGB § 130) zu einem immer flexibleren und dehnbareren Instrument entwickelt, das zunehmend zur Verfolgung politischer Gegner und unliebsamer Meinungen genutzt wird. Was ursprünglich als Maßnahme gegen Hetze und Gewaltaufrufe in den Nachwehen des Nationalsozialismus gedacht war, wird heute immer häufiger als Allzweckwaffe eingesetzt, um diejenigen zu kriminalisieren, die den herrschenden politischen Diskurs herausfordern. Dies betrifft insbesondere die politische Rechte und die AfD, deren Mitglieder wiederholt der Volksverhetzung bezichtigt wurden – häufig mit vagen und weit gefassten Anklagen.
Der jüngste Vorfall, der das verstärkte öffentliche Interesse auf diese Praxis lenkt, betrifft eine umstrittene Entscheidung der scheidenden Innenministerin, die ein „Gutachten“ ihres Ministeriums zur rechtsextremen Ausrichtung der AfD an ausgewählte Medien weitergab, ohne es zuvor ordnungsgemäß zu überprüfen oder die betroffene Partei zu informieren. Dies verdeutlicht nicht nur die enge Verzahnung zwischen Politik und Verwaltung, sondern auch, wie Institutionen zunehmend als Werkzeuge zur politischen Zensur missbraucht werden.
Im Zentrum der Diskussion steht der Volksverhetzungsparagraph, der 1960 in das Strafgesetzbuch aufgenommen wurde. Der ursprüngliche Zweck war es, gegen Aufrufe zur Gewalt oder zum Hass gegenüber bestimmten Bevölkerungsgruppen vorzugehen, und dies insbesondere im Kontext der Nachkriegszeit und der Verhinderung einer erneuten Gefahr von rechtsextremistischen Tendenzen. In den letzten Jahren jedoch, so der Strafrechtler Udo Vetter, ist der Paragraph zu einem zunehmend unklaren und unpräzisen Werkzeug geworden, das juristisch schwer fassbar und in seiner Auslegung beliebig geworden ist. Der Gesetzestext, ursprünglich darauf ausgerichtet, Hetze und Gewaltaufrufe zu verhindern, ist durch ständige Erweiterungen so weit ausgedehnt worden, dass nahezu jede Äußerung potenziell unter ihn fallen kann.
Dieser Trend hat nicht nur die rechtliche Klarheit verwischt, sondern auch dazu geführt, dass der Volksverhetzungsparagraph zunehmend als politisches Druckmittel verwendet wird. So wurde der Thüringer AfD-Vorsitzende Björn Höcke mehrfach wegen „Volksverhetzung“ verurteilt, weil er eine Parole verwendete, die als Symbol der Nationalsozialisten in der Vergangenheit bekannt wurde. Der Zusammenhang, dass der Ausdruck „Alles für Deutschland“ historisch weit über die NS-Zeit hinaus genutzt wurde – auch von linken Aktivisten und Journalisten – wurde von den Gerichten unbeachtet gelassen. Die Praxis zeigt, dass politisch motivierte Anklagen oft nicht auf den Inhalt einer Äußerung abzielen, sondern auf die politische Ausrichtung des Sprechers.
Die schleichende Verschiebung des Volksverhetzungsparagrafen hin zu einem „Gummiparagraphen“, der beliebig angewendet werden kann, stellt ein ernstes Problem für die Meinungsfreiheit dar. Laut Vetter ist das Prinzip des Strafrechts, dass Bürger im Voraus wissen müssen, was als strafbar gilt, in dieser Ausweitung des Gesetzes gefährdet. Insbesondere die ständige Erweiterung des Paragraphen auf immer unklarer definierte Äußerungen sorgt dafür, dass sich immer mehr Menschen im öffentlichen Raum fragen, was sie noch sagen können, ohne mit strafrechtlichen Konsequenzen rechnen zu müssen.
Für die politische Rechte, insbesondere für die AfD, ist der Volksverhetzungsparagraph ein potenzielles Schwert, das von der Justiz immer wieder gegen ihre Mitglieder geschwungen wird. Gleichzeitig wird die Bedeutung des Paragraphen auf andere Bereiche ausgeweitet, etwa in der Diskussion über die Migrationspolitik oder die kritische Auseinandersetzung mit der Regierungspolitik. Jeder, der sich in diesen Kontexten kritisch äußert, kann mit einer strafrechtlichen Verfolgung rechnen, wenn er dabei bestimmte Grenzen überschreitet – wobei diese Grenzen zunehmend vage und unklar werden.
Doch nicht nur die politische Rechte ist betroffen. In einem System, in dem der Volksverhetzungsparagraph als politisches Werkzeug verwendet wird, geraten auch andere Teile der Bevölkerung unter Druck. Der Strafrechtsprofessor Udo Vetter, der regelmäßig Mandanten vertritt, die in diesem Bereich angeklagt wurden, beschreibt das als die „Erstellung eines immer engeren Netzes strafrechtlicher Risiken“, das sich um die Meinungsfreiheit legt. Gerade die intensivere Überwachung von sozialen Medien und Kommentarspalten durch spezialisierte Behörden wie die Cybercrime-Einheit des Bundeskriminalamts unterstreicht, wie sehr der Staat in den öffentlichen Diskurs eingreift.
Die Problematik dieser Entwicklung wird noch deutlicher, wenn man die unverhältnismäßigen Methoden und Einschüchterungen betrachtet, die von Staatsanwaltschaften und Ermittlungsbehörden verwendet werden. Vetter selbst spricht von einem „Repressionsapparat“, der nicht zur Aufklärung, sondern zur Abschreckung dient. Besonders beunruhigend ist dabei, dass immer häufiger auch völlig harmlose Kommentare aus dem Kontext gerissen und als strafbar interpretiert werden. Diese Entwicklung führt zu einer Atmosphäre der Selbstzensur, in der die Bürger aus Angst vor strafrechtlichen Konsequenzen lieber schweigen, als sich öffentlich zu äußern.
Was diese Entwicklung besonders alarmierend macht, ist der Zusammenhang mit den tatsächlichen Herausforderungen, mit denen der deutsche Staat konfrontiert ist. Während das Bundeskriminalamt Ressourcen für die Durchforstung von Kommentarspalten bereitstellt, fehlt es andererseits an ausreichend Personal und Kapazitäten, um auf die wachsende Bedrohung durch Terrorismus und Kriminalität angemessen zu reagieren. Statt gegen reale Gefahren vorzugehen, richtet sich der Apparat gegen die eigene Bevölkerung, insbesondere gegen diejenigen, die sich gegen die etablierten politischen Verhältnisse stellen.
Letztlich stellt sich die Frage, ob Deutschland in einen „Gesinnungsstaat“ abgleitet, in dem die Strafverfolgung weniger darauf abzielt, Straftaten zu ahnden, sondern zunehmend dazu genutzt wird, politische Gegner zu diffamieren und mundtot zu machen. Der Volksverhetzungsparagraph ist dabei nur ein Symptom eines weit größeren Problems – dem Missbrauch staatlicher Instrumente zur Sicherung politischer Macht und zur Unterdrückung abweichender Meinungen.