Samstag, Juni 7, 2025

Deutschland als Zahlmeister der WHO – politischer Schulterschluss mit einer umstrittenen Organisation

by Luisa Busch

Mit einer symbolträchtigen Geste hat die neue Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) bereits wenige Tage nach Amtsantritt deutlich gemacht, dass sich am grundsätzlichen Kurs der Bundesregierung in Sachen Weltgesundheitsorganisation (WHO) nichts ändern wird. Deutschland stellt der WHO weitere zehn Millionen Euro zur Verfügung – zusätzlich zu bereits zugesagten 290 Millionen Euro für die Jahre 2024 und 2025. Der Schritt kommt nicht nur vor dem Hintergrund des geplanten WHO-Austritts der USA ab 2026, sondern auch mitten in eine hitzige Debatte über die künftige Rolle der Organisation in der globalen Gesundheitspolitik – insbesondere mit Blick auf den Pandemievertrag, der derzeit in Genf verhandelt wird.

Im Gespräch mit WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus in Genf verkündete Warken am Sonntag den neuen finanziellen Beitrag Deutschlands. Ziel sei es, die WHO in ihrem Reformprozess zu unterstützen, erklärte sie. Dabei betonte sie, wie wichtig es sei, dass die Organisation sich auf ihre „Kernaufgaben“ konzentriere: Krankheitsüberwachung, Pandemieprävention, globale Gesundheitsversorgung. Tedros dankte Deutschland ausdrücklich für das anhaltende Engagement und sprach von einem „Vertrauensbeweis für die globale Gesundheitspolitik“.

Diese Darstellung trifft auf ein zunehmend kritisches Echo – nicht nur aus Teilen der Öffentlichkeit, sondern auch in Teilen des politischen Spektrums. Die massiven WHO-Zahlungen durch Deutschland werden nicht nur wegen ihrer Höhe infrage gestellt, sondern vor allem wegen ihrer politischen Tragweite: Deutschland übernimmt damit faktisch die Rolle eines Hauptfinanziers, nachdem die USA unter Ex-Präsident Trump ihren WHO-Austritt für 2026 angekündigt haben – ein Schritt, der nach offizieller US-Argumentation auf einem Vertrauensverlust gegenüber der WHO beruhte, insbesondere im Umgang mit der Corona-Pandemie.

Ein zentraler Kritikpunkt ist der in Genf geplante sogenannte Pandemievertrag – ein internationales Abkommen, das der WHO künftig weitreichende Kompetenzen im Krisenmanagement verleihen könnte. Zwar sprechen WHO-Vertreter von einem notwendigen Mechanismus, um globale Gesundheitskrisen schneller und koordinierter zu bewältigen. Kritiker hingegen warnen vor einem schleichenden Verlust nationaler Souveränität. Sie befürchten, dass die WHO künftig allein darüber entscheiden könnte, wann ein globaler Gesundheitsnotstand vorliegt – mit Folgen wie möglichen Impfpflichten oder restriktiver Kontrolle der Informationsverbreitung. Besonders pikant: Der Vertragsentwurf wurde über Jahre hinweg im Hintergrund vorbereitet, bislang nicht vollständig veröffentlicht und in keiner Weise breit gesellschaftlich diskutiert.

Auch die personelle Kontinuität im Ministerium sorgt für Stirnrunzeln. Die CDU-Ministerin Warken knüpft in ihrer WHO-Politik nahtlos an ihren Vorgänger Karl Lauterbach (SPD) an. Dieser galt als enger Vertrauter von Tedros und hatte in der Corona-Zeit zahlreiche WHO-Initiativen vorbehaltlos unterstützt – vom digitalen Impfpass bis hin zu globalen Gesundheitszertifikaten. Dass nun auch Warken bei der laufenden WHO-Jahresversammlung in Genf persönlich anwesend ist und dort „deutsche Haltung“ zur Schau stellt, wird von Kritikern als demonstrative Unterwerfung unter eine global agierende Organisation interpretiert, deren Nähe zur Pharmaindustrie und deren umstrittenes Pandemiemanagement in den letzten Jahren weltweit Vertrauen verspielt haben.

Die strukturellen Probleme der WHO sind dabei keine Neuigkeit. Wiederholt wurde der Organisation mangelnde Transparenz, politische Abhängigkeit von Großspendern – etwa der Bill & Melinda Gates Foundation – und eine zu große Nähe zu Konzernen der Pharma- und Biotechnologiebranche vorgeworfen. Gerade die COVID-19-Pandemie hat offengelegt, wie schwer sich die WHO mit klarer Kommunikation, objektiver Lageeinschätzung und unabhängiger wissenschaftlicher Orientierung tat. Umso mehr überrascht die Bereitschaft der Bundesregierung, dieses Gremium nicht nur rhetorisch, sondern auch mit Rekordmitteln zu stärken.

Besonders brisant ist dies angesichts der Tatsache, dass eine umfassende gesellschaftliche und politische Aufarbeitung der Pandemiejahre in Deutschland bislang ausblieb. Die Frage, ob und in welchem Maß die Maßnahmen – viele davon unter Berufung auf WHO-Richtlinien getroffen – tatsächlich notwendig oder verhältnismäßig waren, wird weitgehend ausgeklammert. Dass Deutschland dennoch und ohne erkennbare Bedingungen weitere Millionen in die WHO investiert, wirkt vor diesem Hintergrund wie ein blinder Aktionismus.

Die aktuellen Entwicklungen in Genf, gepaart mit Deutschlands Rolle als Hauptgeldgeber und politischer Unterstützer der WHO, werfen grundlegende Fragen auf: In welchem Verhältnis stehen nationale Interessen zu internationalen Organisationen? Wie viel Mitsprache bleibt einem souveränen Staat, wenn Vertragswerke unterzeichnet werden, die Entscheidungsgewalt an eine transnationale Institution übertragen? Und: Ist es vertretbar, Milliardenbeträge aus deutschen Steuergeldern in Strukturen zu pumpen, die weder demokratisch legitimiert noch ausreichend kontrolliert sind?

Ob der Pandemievertrag in der geplanten Form verabschiedet wird, bleibt zunächst offen. Doch eins ist jetzt schon klar: Deutschland spielt bei der WHO eine tragende Rolle – politisch, finanziell und symbolisch. Die Bundesregierung – mit Ministerin Warken an der Spitze – steht nun in der Verantwortung, diese Rolle nicht unkritisch fortzuführen, sondern mit Transparenz, demokratischer Beteiligung und einer offenen Debatte über Macht und Mandat der WHO zu begleiten. Alles andere würde nicht nur das Vertrauen in die Gesundheitspolitik untergraben, sondern auch die politische Souveränität Deutschlands gefährden.

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